Hier wurde ein gesellschaftliches Unbehagen Fleischwolf: Tobe Hooper, der Schöpfer des „Texas Chainsaw Massacre“, ist im Alter von 74 Jahren gestorben. Eine Würdigung des sinnlosen Blutvergießens.
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Am 15. Oktober 2015, um 23.55 Uhr, wurde auf Kabel eins ein Film zum ersten Mal im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, genau 41 Jahre und elf Tage, nachdem er ins Kino gekommen war. Vier Jahrzehnte hatte man geglaubt, ihn dem Fernsehpublikum nicht zumuten zu können.
Dieser Film war zensiert, von Staatsanwaltschaften beschlagnahmt, auf den Index gesetzt und davon wieder frei geklagt worden, er hatte ein Genre begründet, endlose Fortsetzungen und Nachahmer gefunden, Interpretationsorgien inspiriert. Und sein Titel war in den Sprachgebrauch übergegangen: „The Texas Chainsaw Massacre“.
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Menschenmenge wie das Rote Meer
Ein bemerkenswerter Lebenslauf für ein Werk, das so gar nicht auf dem Reißbrett konzipiert und uns vom Marketing aufgehämmert wurde (kein „Star Wars“ also). Tobe Hooper, Möchtegern-Hollywoodregisseur im texanischen Austin, schob sich kurz vor Weihnachten durch ein überfülltes Kaufhaus und hasste jede Minute.
Dann, in der Gartenabteilung, durchschoss ihn eine Idee: „Wenn ich jetzt diese Kettensäge wild herumschwänge, würde sich die Menschenmenge wie das Rote Meer teilen, und ich könnte entkommen.“
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Es gibt noch eine Variante des Kettensägengründungsmythos, die bringt auch die Metzgereiabteilung des Einkaufszentrums und die dort hängenden Schinken ins Spiel. Vermutlich handelt es sich um eine Post-factum-Legende, aber sie vereint die beiden wichtigsten Elemente, die aus „Blutgericht in Texas“ (so der deutsche Titel) einen der wichtigsten Filme der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts machten: der unmittelbare, brutale Angriff auf die menschliche Existenz, symbolisiert durch das Fleisch und die Kettensäge.
Schlachtfest der Kannibalen
Natürlich ist das schon die rationalisierte Interpretation. Was da im Spätsommer 1974 auf die Kinozuschauer losgelassen wurde, war viel prosaischer: Fünf junge Leute geraten im hinterwäldlerischen Texas an eine Familie ehemaliger Metzger, die zu Kannibalen degeneriert ist und menschliche Überreste sammelt, mit denen sie ihr Haus dekoriert. Kirk, Pam, Jerry und Franklyn werden geschlachtet, nur Sally kann fliehen, ist aber wahnsinnig geworden.
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Obwohl einem die Grausamkeiten fast ausschließlich suggeriert werden, wirkte „Chainsaw Massacre“ als Schock, wie sechs Jahre zuvor Romeros „Nacht der lebenden Toten“. Hooper, ein Horrorfan, der sich bei gewöhnlichem Grusel zunehmend langweilte, sah die „Lebenden Toten“ und wusste nun, wohin er wollte.
Irgendwie kratzte er (wie Romero) 150.000 Dollar zusammen, scharte ein Laienteam um sich (bei Romero Bekannte, bei Hooper Studenten) und machte sich daran, Hollywood eine blutige Visitenkarte zu schicken.
Romero wie auch Hooper haben stets bestritten, gesellschaftskritische Absichten verfolgt zu haben; das ist der gute Ton in der kommerziellen US-Kinokultur. Aber sie schwammen natürlich mit in der Zeitströmung. Die „Lebenden Toten“ entstanden auf dem Höhepunkt des Vietnamprotests im Jahr der Robert-Kennedy- und Martin-Luther-King-Morde; das „Massacre“ blickte auf die US-Massaker in Vietnam zurück und konnte schon ahnen, welche Monster da in die Heimat zurückgekehrt waren, explosionsbereite Zeitbomben.
Die Mutation der Spezies
Beide Filme offerieren Erklärungen für die Mutationen der Spezies Mensch; bei Romero eine Strahlung aus dem Weltall, bei Hooper eine Mondkonstellation. Das war damals schon fadenscheinig, und beide wussten natürlich, dass ihre Filme gesellschaftliches Unbehagen materialisierten. Nicht umsonst berichtet am Beginn von „Massacre“ ein Fernsehsprecher von Grabplünderungen und Morden und zeigt verwesende Leichen und Sonneneruptionen.
Bei Romero wie bei Hooper verbreitet sich der Wahnsinn unbemerkt in der Provinz; in den Fortsetzungen „Rückkehr der Untoten“ (1978) „Massaker 2“ (1986) ist er dann in den Städten angekommen und manifestiert sich in einem Einkaufs- bzw. einem Vergnügungszentrum.
Das, was die Kritik in die Originale hineininterpretierte, kommt in den Fortsetzungen zum Vorschein: die amerikanische Familie, die zerfallen ist; die Modernisierungsverlierer des Kapitalismus, die in Gewalt flüchten; der alte Pioniergeist, der unselige Urständ feiert. Man darf sich durchaus daran erinnert fühlen, wie sich dieser Tage die großen Städte von New York bis Los Angeles gegen das nationalistisch-rassistische Gift wehren, das vom Land hereinströmt.
Die Mafia half mit
Kein Verleih hatte Hoopers Massaker ins Kino bringen wollen, bis sich eine Firma namens Bryanston Pictures erbarmte. Sie gehörte Louis Peraino, dem Sohn eines Mafia-Kapos, und sie hatte ihre Fähigkeiten schon bei dem Pornofilm „Deep Throat“ bewiesen, der ebenfalls ein Sensationserfolg wurde – nachdem Perainos „checkers“ Kinos Hausbesuche abstatteten, um sicherzustellen, dass der Film gezeigt wurde.
Amerika wäre nicht Amerika, hätte es keinen Weg gefunden, die Fundamentalkritik an seinem „way of living“ in eine Gelddruckmaschine zu verwandeln. Leatherface, der Kettensägenschwinger mit seiner Maske aus menschlicher Haut, hat es zu sechs Fortsetzungen gebracht – im Oktober startet die neuste – und ist zu einer „Ikone der Popkultur“ geworden, was im Wesentlichen heißt, dass man sein Bild überall draufklebt und jederlei Sinnes entleert.
Wer sehr genau wusste, was er mit dem „Deutschen Kettensägenmassaker“ tat, war hingegen 1990 Christoph Schlingensief. Die Maueröffnung versetzt eine westdeutsche Metzgerfamilie in einen Blutrausch, sie bringt DDR-Brüder-und-Schwestern um: „Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst“ hieß der Plakatslogan, und jeder begriff, dass es ein politisches System war, das hier geschlachtet wurde.
Hollywood-Karriere
Tobe Hoopers Traum einer Hollywood-Karriere erfüllte sich, halbwegs. Nachdem „Massacre“ 45 Millionen Dollar eingespielt hatte (das Dreißigfache seiner Produktionskosten), durfte er sogar mit Spielberg arbeiten. „Poltergeist“ ist der zweitbekannteste Hooper, aber seit Langem schwelt die Kontroverse, ob Hooper ihn wirklich inszeniert hat – und nicht Spielberg, dem damals vertraglich untersagt war, parallel zu „E.T.“ an einem zweiten Film zu arbeiten.
In Hoopers weiteren Filmen findet sich ein Monsterkrokodil, eine Hebebühne, die den Schlitzer zerquetscht und eine Wäschemangel, die nach dem Blut von Jungfrauen dürstet. Nun ist Tobe Hooper 74-jährig gestorben.